Ein alter Apfelbaum

Photo: Anna Schmitt

Als wir den Garten vor fast 40 Jahren übernahmen, regte der ungewöhnlich hohe Apfelbaum mit seinen mindestens 10 Metern Höhe imposant in die Höhe. Er überraschte uns Neubewohner des Anwesens mit 4 Zentnern Äpfeln voller Süße. Weil wir nicht wussten, ob wir die Früchte lange lagern konnten, entscheiden wir uns für eine Mostaktion in der Mosterei des Nachbardorfs. Der trübe Saft war so süß, dass wir ihn nur mit Wasser verdünnt trinken konnten bzw.  zu Wein verarbeiteten.

In den zwei folgenden Jahren gaben uns die kühlen und verregneten Sommer viele saure Früchte, deren Saft wir mit dem süßen vermischten. In trockenen Sommern gab ich dem Baum Wasser.

Eines Tages hörte ich ein merkwürdiges Vogelgeräusch. Es klang mir exotisch, und ich kannte es überhaupt nicht. Laut war es auch. Als ich genau hinschaute, war gerade ein Starenpaar damit befasst, in eine Asthöhle in der Gabelung des Apfelbaums ein- und auszufliegen – mit irgendetwas im Schnabel. Irgendwann im Sommer war die Asthöhle leer.Das exotische Geräusch war wohl ein Mitbringsel der Stare aus wärmeren Gefilden.

Später überraschten mich Pilze am Fuß des Baums, die sich als essbar herausstellten. Abends lauschte ich dem Gesang der Amseln hoch oben in den Wipfeln des noch weiter gewachsenen Baums, der uns jedes Jahr mit seinen Früchten beglückte.

Als ich das letzte Mal zur Apfelernte, diesmal mit schwangerem Bauch, den Apfelbaum nun mühsam erklomm, war ein Stück Stamm ohne Äste so sehr gewachsen, dass ich die Spitze der Baumkrone nicht mehr erreichen konnte. Fortan wartete ich auf die herbstlich-fruchtigen Gaben mit Kind, und wir sammelten die so vertrauten Früchte unten ein, um wieder zu mosten. Welch eine Freude für das Kind, in der Schubkarre mit Apfelsäcken über den Gartenboden holpern zu dürfen!

Einmal blitzte es und donnerte gewaltig. Es gab ein laut knackendes Geräusch. Ein sehr großer Ast trug seine Obstlast nicht mehr, sondern brach herunter.  Doch der Rest ragte weiterhin in die Höhe. Nur konnte ich nicht mehr erkennen, ob der Baum wuchs oder nicht, weil der Himmel keinen Maßstab bot. Doch unten wurde eine weitere Höhlung erkennbar: eine Maus verschwand in ihr.
Um Risiken zu vermeiden, kam ein Forstingenieur, der die Äste stutzen musste. Nach seiner Arbeit trieb wieder ein Zweig mit Blättern aus. Ich hoffte auf einen letzten Apfel. Dann brachen Rindenstücke ab und nun ist der Stamm in seinen Grundfesten gelockert.

Die Amsel aber singt an warmen Abenden immer noch im aufragenden Zweig ihr Abendlied, während die Höhlung am Fuß viele rottende Späne birgt. Käfer laufen über den löchrigen Stamm. Und ich halte den Atem an, wenn der Baumkundler seine Vorschläge macht, wie jetzt mit dem Sicherheitsrisiko umzugehen ist.

Dankbar pflege ich diesen Baum auf seine alten Tage bis zuletzt, das steht fest.